Kirche in Begegnung. Auf der Spur in Richtung Offenheit.

vom Handlungsfeld Inhalt

Kirche in Begegnung: Von Begegnungen und Beziehungen

Kirche unter dem Gesichtspunkt von Begegnung zu betrachten erschließt neue Räume, um unserem Auftrag gerecht zu werden. Begegnung bedeutet, uns den Menschen und der Welt in einer Haltung der Offenheit, des Respekts und der Wertschätzung zu zu wenden. Begegnung geschieht in der Bereitschaft selbst Neues zu erfahren und sich verändern zu lassen. Sie ist getragenen von einem Moment der Unverfügbarkeit: Was ich in der anderen Person oder anderen Personen auslösen werde und – genau so wichtig – was andere Personen in mir auslösen werden, kann vorher niemand wissen. In dieser Beidseitigkeit, Offenheit, Unverfügbarkeit und der Hoffnung auf Gottes Wirken steck für uns eine neue Weise gemeinsam Kirche zu sein. Gute Begegnungen können in langfristige Beziehungen führen. Sind diese tragfähig, werden sich auch in diesen Beziehungen die Menschen immer wieder neu begegnen.

Missional sind Begegnungen, weil unser Glauben und unsere Gottesbeziehung elementar zu uns als Glaubende und unserem Welt- und Selbstverständnis gehören. Als solche werden wir sie in Begegnungen in je eigener Weise zur Sprache bringen, weil sie uns helfen, in dieser Welt mit uns und anderen zu leben. Gleichzeitig vertrauen wir darauf, dass auch in anderen Glaubensformen und in anderen Verständnissen des Glaubens  Gott  wirkt und etwa im ökumenischen Miteinander unseren eigenen Glauben so erweitern kann. Neugier und Offenheit auf der Basis eigener Erfahrungen und Überzeugungen schafft die Grundlage für ein gemeinsames Wachsen im Glauben.

Begegnung und Beziehung

Mit Begegnung meinen wir eine Situation, in der sich unterschiedliche Menschen gegenseitig aufmerksam wahrnehmen und austauschen. Begegnung lassen uns gegenseitig aufhorchen, lösen etwas in uns aus (Resonanz) und führen zu Veränderungen. Dabei sind die Prinzipien von Gleichheit, Eigenwert und Selbstbestimmung grundlegend.

Mit Gleichheit ist gemeint, dass die Begegnung auf Augenhöhe stattfindet. Das Gespräch wird dadurch weder zweck- noch sinnfrei. Die andere Person als Person zu sehen und tiefer kennen zu lernen sowie sich selbst als Person erkennbar und nahbar zu machen, sind Ziel und Zweck der Begegnung. Eine solche Begegnung fördert Vertraulichkeit und Gegenseitigkeit und verzichtet auf Entfremdung, Machtausübung und Polarität. Einstellungen, Überzeugungen und Meinungen werden miteinander geteilt und nicht gegeneinander aufgewogen.

Mit Eigenwert ist gemeint, dass jede Person für sich mit ihrer aus Erfahrung gewachsenen Lebensdeutung und -ausrichtung geachtet und geschätzt wird. Dies ist nötig, um einen Menschen mit seiner Geschichte zu verstehen. Lebensdeutung und -ausrichtung sind nicht festgeschrieben. Sie unterliegen dem Wandel und tragen die Möglichkeit zu Veränderung und Wachstum in sich. Gerade Begegnung kann hier Entscheidendes beitragen.

Mit Selbstbestimmung ist das Vertrauen darauf gemeint, dass jede Person als Expert:in ihrer eigenen Situation gesehen wird. In einer Begegnung kommt es entsprechend dieser Prinzipien zu einem Austausch unterschiedlicher Perspektiven, wobei alle Beteiligten von der Weitung der eigenen Perspektive profitieren und verändert werden.

Die EmK und die Gemeinden vor Ort haben ihre Aufgabe darin, Räume für solche Begegnungen zu schaffen. Diese Räume ermöglichen für unterschiedlichste Menschen aktive Teilhabe, indem ein Setting der (Selbst-) Sicherheit, des aktiven Zuhörens und voneinander Lernens geschaffen wird. Offenheit und Freiheit sind für die Begegnung insgesamt wie für die Haltung der Begegnenden unhintergehbare Voraussetzung. Beides – Offenheit und Freiheit – sind doppelt ausgerichtet: Nach innen als Offenheit, andere Perspektiven verstehen und einnehmen zu wollen, sowie als Freiheit, andere Perspektiven als gewinnend aufzunehmen oder abzulehnen. Nach außen als Offenheit über mich und meine Überzeugungen Auskunft zu geben und als Freiheit meine Erfahrungen und Kontexte einzubringen.

Bei all dem verstehen wir Begegnungen immer als mehr denn nur die Summe der sich Begegnenden. Sie zeichnen sich durch das unverfügbare Moment aus, das im Zusammenkommen und Aufeinandertreffen unterschiedlicher Personen und ihrer Lebensentwürfe, Erfahrungen und Einstellungen Neues entsteht und die Beteiligten verändert. Mit dem jüdischen Religionsphilosophen Emmanuel Lévinas kann dieses unverfügbare Mehr als Präsenz Gottes beschrieben werden.

Unter einer sozialen Beziehung wird soziologisch (nach und in Anknüpfung an Max Weber) ein „gegenseitig eingestelltes und dadurch orientiertes Sichverhalten mehrerer“ verstanden. Im Unterschied zur Begegnung legt der soziologische Beziehungsbegriff zumeist ein dauerndes aufeinander Bezogensein nahe. Mit der Zentralstellung der Begegnung soll keine Abwertung von Beziehungen impliziert sein. Beziehungen sind zentrale Ressourcen, erfüllen wichtige Bedürfnisse und sind ein, für viele sogar der wesentliche Kern eines erfüllenden Lebens. Dies gilt aber nur so lange als in diesen Beziehungen Begegnungen im oben genannten Sinne möglich bleiben und sich immer wieder ereignen. Begegnungen können deshalb in tragfähige und langfristige Beziehungen führen und diese erhalten. Gleichzeitig können wegweisende Begegnungen auch vereinzelt und losgelöst von langfristigen Beziehungen geschehen.

Begegnung und Beziehung sollen in keinem Fall gegeneinander ausgespielt werden. Stattdessen liegen gerade in den differenzierten Eigenwerten beider Phänomene Potenziale. Begegnung ist ein Qualitätsmerkmal von Kontakt, Beziehung und Gemeinschaft. Kontakt, Beziehung und Gemeinschaft ohne Begegnung haben keine (tiefgehende) Relevanz.

Begegnung als Auftrag und Mission der Kirche

Mission meint das werbende Erzählen von einer tragenden Gottesbeziehung, die in Begegnungen mit anderen Christ*innen gelebt wird. Dieses werbende Erzählen kann unserem Verständnis nach kaum abgelöst von persönlichen Erfahrungen stehen. Wenn ich als Christ:in anderen Menschen davon erzähle, warum mein Glaube mir in meinem Leben wichtig ist, mir Halt und Orientierung gibt, bezieht sich dieses Erzählen auf meine gesamte Person und mein Verständnis von Welt, (Zusammen-) Leben und Gott. Begegnungen, wie sie uns als Zielpunkt kirchlichen Handelns vorschweben, zielen darauf, unterschiedliche Menschen zusammenzubringen und in einen ergebnisoffenen, interessierten und selbstbestimmten Austausch über die Themen, Fragestellungen und Probleme zu involvieren, die den jeweils Beteiligten wichtig sind. Das Grundanliegen und die Voraussetzung von Auftrag und Mission der Kirche ist der Wunsch und die Bereitschaft, bei bzw. mit den Menschen zu sein, und sich mit dem zu befassen, was Menschen in ihrer Lebensgestaltung und in allen Lebensbezügen unmittelbar angeht.

Begegnungen, die im Kontext Kirche stattfinden, werden stets vor dem Hintergrund geistlicher und theologischer Überzeugungen geführt. Im Besonderen zeichnen sie sich diese Begegnungen durch vier Charakteristika aus:

  1. Begegnungen im Raum der Kirche sind stets Begegnungen, bei denen wir mit der Gegenwart Gottes rechnen dürfen und sollen. Indem ich mich für andere Menschen öffne, sie kennenlerne und gleichzeitig von mir und meinem Leben Anteil gebe, öffne ich Räume, in denen Gottes Geist Veränderungen an allen Beteiligten anstoßen kann. In dieser Offenheit und Freiheit wirken Begegnungen entlastend und befreiend.

  2. Finden Begegnungen im Modus echten Interesses und echter Anteilnahme statt, kommt zur Sprache, was in und angesichts der je spezifischen Situation für mich und mein Gegenüber relevant ist. Der Glaube hat im Kontext von Kirche eine herausragende Stellung, um Leben zu deuten, Übergänge zu begleiten und neue Perspektiven zu eröffnen.

  3. Der Inhalt von Begegnungen ist die Erfahrung von Zuwendung und Wertschätzung. In Begegnung wird dies in besonderer Weise konkret. Es bleibt aber ein Geschenk. Ich verfüge nicht darüber. Zuwendung und Wertschätzung ist das, was ich selbst durch die Gnade Gottes beständig erfahre und in das ich hineingenommen bin.  Es ist Aufgabe von kirchlichen Begegnungen die Relevanz von Glauben anhand eigener Erfahrungen für andere spürbar zu machen und anderen Raum zu geben, Anteil an dem zu geben, was ihnen im Leben Halt gibt.

  4. Begegnungen im Raum der Kirche sind stets unter der Achtung der Prinzipien von Gleichheit, Eigenwert und Selbstbestimmung zu führen. Aus diesen folgt eine Offenheit, die sich vertrauend auf das einläßt was in der Begegnung entsteht. Eine einseitige Haltung, jemanden von meiner Meinung überreden zu wollen, ist dabei nicht förderlich. Einseitige Bekehrungsversuche nach dem Muster: „Ich habe die Wahrheit, die deinem Leben fehlt“, sabotieren Begegnungen und führen nicht selten zu manipulativen und auf lange Sicht wenig belastbaren Einzelentscheidungen.

Der von uns entwickelte Begegnungsbegriff ist umfassend und deckt die Anliegen von Auftrag und Mission in gleicher Weise ab. Beides, Auftrag und Mission, können nicht getrennt voneinander verwirklicht werden. Sie sind miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig. Weiß sich die methodistische Kirche in Liebe gesandt (sent in love), sind es gerade Begegnungen, in denen Liebe spürbar und Gottes verändernder Geist heilsam wirken kann.


Verfasser:in Handlungsfeld Inhalt

Das Handlungsfeld Inhalt besteht aus Esther Dreisbach, Casjen Ennen, Damaris Hecker, Samuel Lacher, Moritz Mosebach, Janina Schmückle, Stephan von Twardowski, Reinhard Wick und Almuth Zipf.

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Die Wippe

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Spurenwechsel: Begegnung und die gemeinsame Suche nach Heimat